Aufruf der Verbände der Land- und Forstwirtschaft – Schutz der Kulturpflanzen sichern und Produktionsverlagerungen vermeiden –Vorschläge für einen modernen Pflanzenschutz

Berlin, 12.06.2024. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat im März 2024 eine Diskussionsgrundlage für die Erarbeitung eines sogenannten Zukunftsprogramms-Pflanzenschutz vorgelegt. Während die generelle Botschaft auf der Titelseite des Papiers lautet: „Mit nachhaltigem Pflanzenschutz die Ernten der Zukunft sichern und die Abhängigkeit von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln verringern“, beschränkt sich der Fokus des gesamten Papiers auf die Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.

Vorschlag liefert keine Antworten auf wesentliche Zukunftsfragen des Ackerbaus

Wachsende Herausforderungen wie die Sicherung der Versorgung mit Nahrungs- und Futtermitteln, die Vermeidung von Produktionsverlagerungen, die Sicherung der Ernten, der Produkte und Qualitäten und der Schutz des Waldes durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sind in dem Papier nur eine Randnotiz. Im Vordergrund steht eine pauschale Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ohne Folgenabschätzung. Insofern liefert der Vorschlag des BMEL keine Antworten auf die wesentlichen Zukunftsfragen des Acker- und Pflanzenbaus einschließlich des Gartenbaus und des Schutzes von Kulturpflanzen vor Schädlingen, Krankheiten und Konkurrenz. Statt den Pflanzenschutz in Zeiten wachsender Herausforderungen zukunftsfest zu machen, stellt das Pflanzenschutz-Programm des BMEL im Kern eher ein Rückbauprogramm der Land- und Forstwirtschaft in Deutschland mit einem stark ordnungsrechtlichen Charakter dar.

Rückschritt für Landwirtschaft, Ernährungssicherung und Umwelt

Die Chancen von Technik und Innovationen sind völlig unterrepräsentiert – seien es innovative Anbaumethoden, neue Züchtungstechniken, innovative Pflanzenschutzmittel, Digitalisierung oder die Potenziale hochpräziser Ausbringungstechnik, um sowohl die Erträge und Qualitäten der Erzeugnisse zu erhalten, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf ein notwendiges Maß zu reduzieren und gleichzeitig einen Beitrag zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt zu leisten. Mit dem Duktus „Reduzierung der Abhängigkeit von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln“ wird der chemische Pflanzenschutz diskreditiert. Der Schutz der Kulturpflanzen zur Ernährungssicherung wird den Umweltzielen Artenvielfalt, gesunde Böden, saubere Luft und unbelastetes Wasser untergeordnet und als unvereinbar dargestellt. Die unterzeichnenden Verbände sehen die Vorschläge des BMEL eindeutig als Pflanzenschutz-Reduktionsprogramm und als einen Rückschritt für Landwirtschaft, Ernährungssicherung und Umwelt.

Zukunftsfähiger Pflanzenschutz braucht fachlich fundierte, technikbasierte, wirtschaftlich tragfähige und kooperative Maßnahmen

Die Verbände kritisieren zudem den nationalen Alleingang des BMEL, nachdem auf europäischer Ebene die Verordnung über die Nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) von der EU-Kommission zurückgezogen wurde. Die Verhandlungen auf EU-Ebene sind deshalb gescheitert, weil starre Reduktionsziele und pauschale Verbote des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln der falsche Weg und in der EU nicht mehrheitsfähig sind. Dies nun auf nationaler Ebene anzustreben, wird von den Verbänden abgelehnt. Stattdessen sollten im Sinne der Zukunftskommission Landwirtschaft sowie der in den Bundesländern gestarteten Initiativen zum Pflanzenschutz und zum Naturschutz gemeinsam Wege für einen kooperativen Naturschutz und Vorschläge für einen zukunftsfesten Pflanzenschutz entwickelt werden. Die Verbände fordern das BMEL auf, das Papier zurückzuziehen und einen zukunftsfähigen Pflanzenschutz auf der Basis fachlich fundierter, technikbasierter, wirtschaftlich tragfähiger und kooperativer Maßnahmen neu auszurichten, anstatt an praxisuntauglichen Verzichtsstrategien festzuhalten.

Die folgenden Ansätze für einen nachhaltigen Pflanzenschutz sollten hierbei im Vordergrund stehen:

  • Digitalisierung und Smart Farming: Während in der Vergangenheit die Kulturfläche meist einheitlich und flächig mit der gleichen Menge an Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, bieten die Einführung von Teilbreitenabschaltungen bis hin zu modernen Techniken einer sensorbasierten Düsensteuerung und Spot-Spraying die Möglichkeit größerer Einsparungen von Pflanzenschutzmitteln. Künftig wird die Ausbringmenge an jeder Düse reguliert, dass nur dort ein Mittel ausgebracht wird, wo es notwendig ist. Die bereits marktverfügbaren Geräte sollten konsequent weiterentwickelt und der Epochenwechsel in der Mittelapplikation möglichst schnell in die breite Praxis gebracht werden. Dabei müssen die hohen Kosten bei der Einführung neuer Technik in der Praxis durch eine gezielte investive und anwendungsorientierte Förderung abgefedert werden.
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  • Züchtung: Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels und den sich damit verändernden Umweltbedingungen sind gesündere und gegen Pilzerreger resistentere Pflanzen die Basis für einen niedrigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Mit den modernen Züchtungsmethoden wie der Genomeditierung ist eine deutliche Beschleunigung des Züchtungsprozesses möglich, um agronomische Eigenschaften (wie z. B. Ertrag und Wachstumseigenschaften, Nährstoff- und Wassereffizienz) und auch Krankheits- und Trockenheitsresistenz zu verbessern. Die Resistenzzüchtung ist ein wichtiges Werkzeug zur Reduktion chemischer Pflanzenschutzmittel ohne oder mit deutlich weniger Ertrags- und Qualitätseinbußen
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  • Wirkstoffvielfalt im Integrierten Pflanzenschutz: Der kontinuierliche Verlust von chemischen Wirkstoffen stellt eine derzeit noch nicht ausreichend beachtete Gefahr für die künftige Ernährungssicherung dar. Während der Landwirtschaft 1993 noch etwa 700 chemische Wirkstoffe zur Verfügung standen, sind es aktuell nur noch etwa 200 – ein Rückgang von über 70 Prozent. Im Bereich der biologischen Pflanzenschutzmittel ist ebenfalls ein Rückgang zu verzeichnen. In einzelnen Kulturen (bspw. Obst, Hopfen, Kartoffel, Raps, Rüben und weiteren sog. Lückenindikationen) wird mittelfristig der Ernteschutz nur noch sehr schwer zu gewährleisten sein. Das Konzept des Integrierten Pflanzenbaus erfordert eine breite Wirkstoffvielfalt, die auch im Nationalen Aktionsplan als Ziel festgelegt ist, bis 2023 in 80 Prozent aller relevanten Anwendungsgebiete mindestens 3 Wirkstoffgruppen zur Verfügung zu haben. Einer Studie des Julius Kühn-Instituts zufolge ist dies nur für 36,5 Prozent der Indikationen erreicht. Trotz hoher Investitionen der Industrie in neue, risikoreduzierte Produkte wie biologische Pflanzenschutzmittel oder sogenannte „Low-Risk-Produkte“, wird der Verlust von chemischen Wirkstoffen auf absehbare Zeit nicht ausgeglichen werden können. Behandlungslücken in der Landwirtschaft verschärfen sich. Der Engpass zeigt sich aktuell auch schon bei weitverbreiteten Feldkulturen. Aufgrund der fehlenden Auswahl können die Pflanzen bei Resistenzen oder neuen Schaderregern nicht effektiv geschützt werden. Im Rahmen des Zulassungssystems kann darauf aktuell – wenn möglich – nur mit Notfallgenehmigungen reagiert werden, auch im ökologischen Landbau. Angesichts dessen fordern die Verbände eine verlässliche Gesamtstrategie für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln im Sinne des nachhaltigen Schutzes landwirtschaftlicher Kulturen. In diesem Sinne sollte auch ein Schwerpunkt auf die Umsetzung der Empfehlungen aus dem BVL-Workshop „Pflanzenschutzmittelzulassung 2030“ liegen, um die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an die zukünftigen Herausforderungen anzupassen.
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  • Kooperation im Naturschutz statt Auflagen und Verbote: Die im Vorschlag des BMEL vorgesehene Verschärfung des Ordnungsrechts im Bereich der guten fachlichen Praxis, des Integrierten Pflanzenschutzes, der Vorgaben in Schutzgebieten des Natur- und Gewässerschutzes und der Anwendungsbestimmungen werden keinen Beitrag zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität leisten, sondern enorme Verlagerungseffekte zur Folge haben. Das Programm sollte vielmehr den Ansatz der Zukunftskommission Landwirtschaft verfolgen, die Kooperation zwischen Landwirtschaft und Naturschutz voranzubringen, Artenvielfalt als Geschäftsfeld für die Landwirte zu entwickeln und innovative regionale Naturschutz-Kooperativen aufzubauen. Auf kooperativem Weg und im Dialog sollte die Förderung der Artenvielfalt und eine moderne produktive Landwirtschaft mit Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Einklang gebracht werden, wie es viele Projekte erfolgreich belegen. Praxistaugliche und wirtschaftlich tragfähige Maßnahmen sind hierfür umzusetzen. Die Verbände kritisieren insofern das Misstrauen gegenüber der guten fachlichen Praxis und die fehlende Kooperation im Naturschutz und fordern die Übertragung der vorhandenen Erkenntnisse erfolgreicher Naturschutzmaßnahmen
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    Die Verbände fordern konkret:

  • Nutzen des Pflanzenschutzes für sichere Ernten und gute Qualitäten ins Zentrum der Pflanzenschutzpolitik stellen!
  • Verzicht auf pauschale Mengenreduktionsziele und nationale Alleingänge im Pflanzenschutz!
  • Integrierten Pflanzenschutz in der gesamten Breite fördern!
  • Innovation bei der Zulassung voranbringen und breite Vielfalt an Pflanzenschutzmitteln für Ernährungssicherung und zukunftsfesten Pflanzenschutz gewährleisten!
  • Zonale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und Zulassungsverfahren für Lückenindikationen verbessern!
  • Vorrang für Kooperation beim Naturschutz festschreiben!
  • Moderne Pflanzenschutztechnik und deren Anwendung forcieren und in die Breite bringen!
  • Mit modernen Züchtungsmethoden die Resilienz der Land- und Forstwirtschaft verbessern!
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    Fazit

    Die unterzeichnenden Verbände setzen sich für einen nachhaltigen und fachlich fundierten Schutz land- und forstwirtschaftlicher Kulturen vor Schädlingen, Krankheiten und Konkurrenz ein. In diesem Sinne setzt das Programm des BMEL die falschen Akzente, ignoriert Technik, Innovation und Fortschritt und fokussiert einseitig auf Ordnungsrecht und eine Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Die Vorschläge des BMEL bieten keine Antworten auf die Zukunftsfragen der Landwirtschaft. Aus Sicht der Verbände müssen folglich die Vorschläge zurückgezogen werden. Es bedarf einer grundlegenden Neuausrichtung der Pflanzenschutzpolitik der Bundesregierung.

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